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Die Hochebene ist in den Alpen aus orografischer Sicht sozusagen ein Unikum. Sie ist 46.000 Hektar groß und umfasst im Wesentlichen drei Höhenstufen: eine mit Blick auf die Ebene, dann die des Talkessels von Asiago und eine weiter oben, in etwa 1400/1600 Meter Höhe. Der Mensch setzte für die Almtätigkeit Höhenweiden und auch Grasflächen ein, die durch Waldrodung entstanden.
Die Viehzucht
Diese Tätigkeit gibt es seit Langem: Es gibt sogar schriftliche Zeugnisse, vor dem Jahr 1000. Es wird berichtet über die Interaktion zwischen den Züchtern, den Almhüttenbetreibern, die mit ihren Herden in die Berge kamen, und dem Benediktinerkloster in Campese bei Bassano del Grappa (Vicenza). Seinerzeit – um das Jahr 1000 – stand das Gebiet unter der Obhut der Abteien und schon damals sprach man von Käselaiben und Buttermengen als Tausch gegen die Pacht der Weiden.
In jenen Jahren brachte man auf die Alm vor allem Schafe. In einem Bericht von Francesco Caldogno um das Jahr 1600 spricht man gar von über 230.000 Schafen. Darauf lässt sich schließen, dass die damalige Weidefläche größer als die heutige war, um eine so große Zahl ernähren zu können. Das blieb so, bis Napoleon kam und die Republik Venedig fiel. Mit Napoleon verfiel auf der Ebene das Weiderecht zur Nutzung der Privatflächen, was die gesamte Zucht beeinflusste, so dass man von der Schafszucht allmählich auf die Rinderzucht überging. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten wir an die 20.000 Schafe und etwa 20.000 Rinder für den Almauftrieb und es gab über 120/130 bewirtschaftete Almen, also weitaus mehr als die heutigen 78 der Gebirgsgemeinschaft Unione Montana Spettabile Reggenza dei Sette Comuni. Und dennoch weist heute die Hochebene die höchste Almdichte im gesamten Alpenraum auf.
Die Almhütten
Die Almhütten waren vor dem Ersten Weltkrieg aus Holz, die durch das Kriegsgeschehen vollständig zerstört wurden. Hier lag die Kriegsfront, so dass für dreieinhalb Jahre keine weidewirtschaftliche Nutzung möglich war. Und so sank auch die Anzahl der gehaltenen Tiere. Nach dem Krieg, also in den 20er-Jahren, beschäftigte man sich mit der Wiederaufforstung, aber vor allem mit dem Bau neuer Häuser und Ställe. Das sind diejenigen, die man heute praktisch sieht. Die Ende der 20er-Jahre errichteten Almhütten sind bis in die 70/80er-Jahre gleich geblieben, als die Gemeinden den Gesetzen der EG zufolge Struktureingriffe vornehmen mussten (zum Beispiel musste man die Wohnräume von den Räumen für die Milchverarbeitung trennen). Die Gebirgsgemeinschaft hat folglich die Almhütten den Hygienevorschriften der EG anpassen und daher wichtige Baumaßnahmen in Angriff nehmen müssen. Über die Hälfte der heute auf der Hochebene bewirtschafteten Almen verarbeiten Milch zu Käse. Auf die schwierigeren, an steileren Hängen liegenden Weideplätze werden Schafe getrieben, die ertragreicheren Almen haben hingegen Rinder.
Die Orografie dieser Gebiete ist die der Venetischen Voralpen: Es gibt keine hohen Berge, aber dafür lädt die Landschaft zu Spaziergängen und Radausflügen ein, da man große Touren ohne große Schwierigkeiten und vor allem ohne besondere Gefahren unternehmen kann. Die Almtätigkeit setzt eine Weidenpflege voraus, die Weiden müssen ertragreich sein und korrekt gepflegt werden. Dadurch trägt man zur Erhaltung einer besonders beliebten Landschaft bei: Der Wechsel von Wiesen, Weiden und Wäldern schafft eine Umgebung, die sehr viele Personen anlockt, auch solche, die wegen ihres Alters und persönlichen Gründen die Almen und die besonders bezaubernden Orte, die die Hochebene der Sieben Gemeinden zu bieten hat, ohne große Hindernisse problemlos erreichen müssen. Die vielen Ortsstraßen waren ehemals Militärstraßen, die im Ersten Weltkrieg errichtet wurden. Es ist sozusagen ein „Erbe“, das in hohem Maße dazu beiträgt, dieses Territorium noch stärker zugänglich zu machen.
Die Naturaspekte
Auch die Naturaspekte sind von Bedeutung: Ein großer Teil im Norden von Asiago ist ein Besonderes Schutzgebiet (BSG). Den Schwerpunkt dieses Besonderen Schutzgebietes bilden besonders wertvolle Pflanzen und Tierarten. Denken wir zum Beispiel an die Rauhfußhühner, die hier alle vertreten sind: Birkhuhn, Auerhuhn, Alpenschneehuhn und Haselhuhn. Oder an den Schneehasen, an eine ganze Reihe von Huftieren: Hirsch, Reh, Gämse und Mufflon. Einige besondere Tiere wie Murmeltiere und der Adler. Unter besonderem Schutz stehen extrem seltene Arten wie der berühmte Salamander Salamandra atra aurorae, der in den Feuchtgebieten der Tümpel im oberen Teil der Hochebene zuhause ist oder auch die vielen Vögel, einschließlich Zugvögel, die in diesen Wald- und Weidegebieten rasten. Unzählig vertreten sind auch viele kleine Insekten und andere Lebewesen. Man muss beim Wandern – möglichst ohne viele Geräusche zu machen, da dies die Tiere in die Flucht treibt – einfach nur neugierig sein und näher hinschauen, beobachten und aufpassen.
Der Erste Weltkrieg
Doch die Hochebene ist auch ein Ort überaus wichtiger historischer Zeugnisse. Dabei geht es vor allem um den Krieg, insbesondere um den Ersten Weltkrieg: Die Kriegsfront zog sich vom ersten bis zum letzten Tag dieses schrecklichen und schmerzvollen Stellungskrieges von oben – von Norden nach Süden – durch das gesamte Gebiet, und die Tatsache, dass hier etwa 600/700.000 Soldaten des österreichisch-ungarischen und italienischen Heeres stationierten, führte natürlich zum Bau vieler Anlagen. Wir sprechen von Schützengräben, Laufgräben, Kasernen, die überall dort verstreut sind, wo die Heere sich gegenüberstanden. All diese Funde sind heute noch vorhanden, einige wurden auch wieder instandgesetzt und können nun teilweise besichtigt werden.
Ein weiterer interessanter Aspekt betrifft die Wirtschaft: Derzeit leben von den ersten Junitagen bis Ende September, für etwa 120 Tage auf der Hochebene über 400 Personen, die in der Almwirtschaft tätig sind, sowohl aus Gebirgsbetrieben als auch aus Viehzuchtbetrieben vom Flachland stammen und im Sommer hier das Vieh auf die Weide treiben. Diese Zahl genügt an sich, um die Bedeutung der Almen von einem wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus aufzuzeigen.
Einerseits gewährleistet der Almhüttentourismus dem Almhüttenbetreiber ein direktes Einkommen, so dass er die äußerst wichtige Tradition der Sömmerung auf den hoch gelegenen Weiden der Hochebene am Leben halten kann.
Andererseits kommt es zu Einnahmen, die dem ganzen Gebiet zugute kommen und über die indirekten Auswirkungen hinausgehen, die der Tourismus mit sich bringt. Die Bevölkerung der Hochebene lebte einst von der Waldnutzung und Viehzucht. Zu Reichtum verhalfen somit Schafswolle und -fleisch, jetzt stammt das Einkommen eher aus dem Verkauf von Almkäse und der Waldnutzung.
Dieses Naturerbe wird im Rahmen der von den Gemeinden umgesetzten Regelungen der „Gemeinnutzung“ verwaltet und ist sehr wichtig, da die Einnahmen aus der Holzernte und Pachtvergabe der Almhütten in den Gemeindehaushalt fließen, wobei ein Betrag den anspruchsberechtigten Einwohnern zugute kommt.
Doch was bedeutet dies? Dies bedeutet, dass das Geld dieser Tätigkeiten in erster Linie auf die Bestandspflege ausgerichtet ist und dann für die Ortsansässigen, vor allem in der Sozialhilfe, genutzt wird.
Heute kommen Almhüttenbesucher auch in den Genuss einzigartiger und erstklassiger Käse, deren Milch von Kühen stammt, die sich von Weidegras ernähren und deren andere Futtermittel nach einer Verordnung der Gebirgsgemeinschaft eingeschränkt ist. Diese Käse sind von Alm zu Alm anders, da sich die Weide aus etwa 80 verschiedenen Grasarten zusammensetzt und je nach Höhe, Lage und ehemaliger Almwirtschaft anders ausfällt. Ein weiterer und immer mehr an Bedeutung gewinnender Aspekt ist das mehr oder weniger große Angebot eines Gastbetriebs, das von einem belegten Brötchen über Wurst- und Käseplatten bis hin zu vielleicht einer wohlschmeckenden Pasta mit Gebirgsbutter und geräucherter Ricotta reichen kann.
Alle Sieben Gemeinden der Hochebene unterstützen ihre Almen und lenken darauf das Augenmerk der Touristen, auch durch Veranstaltungen, die mit der Alpwirtschaft verbunden sind. Denken wir zum Beispiel an die Transhumanz, die stets viele Personen anlockt, welche zu Fuß den Auf- und Abtrieb der Tiere zwischen Flachland und Gebirge mitverfolgen. Viele Senner öffnen auch ihre Türen für das Publikum, so dass man ihnen bei der Milcherzeugung und Käse- und Butterverarbeitung zusehen kann.
Wander- und Radtouren zwischen den Almhütten
Dank der ständigen Instandhaltung und des Ausbaus der Verbindungsstraßen sowie der zunehmenden Anzahl von E-Bikes (mit denen man nun die Almhütten und Gebiete, die früher für Anfänger und Familien unzugänglich waren, problemloser erreichen kann) kann man heute auch Routen bis zu den Almen in mittleren Höhenlagen anbieten.
Das Leben auf der Alm
Ich habe mein Leben auf der Alm verbracht. Ich hatte in meinem beruflichen Leben über 40 Jahre direkten Kontakt zu den Almhüttenbetreibern und es war eine für mich sehr wichtige Erfahrung, die mich viele Sachen gelehrt hat. Ich habe viele kleine Geheimnisse aus der Viehzucht und Milchverarbeitung erfahren, und da gibt es so Vieles, das die Neugierde und Lust anregt, mehr darüber zu wissen.
Meiner Meinung nach ist ein Ausflug zu den Almhütten der Hochebene für eine Familie mit Kindern mit einer Naturstunde vergleichbar: Man pflückt zunächst auf der Weide ein paar Blumen, beobachtet die Tiere und versucht, ihr Verhalten zu verstehen. Und man kann sich auch den Tieren nähern, in einem gewissen Maße natürlich. Das alles sind Erlebnisse, die sich in schöne Erinnerungen verwandeln, sobald man wieder in die Stadt zurückkehrt. Man kann von der Natur sehr viel lernen, insbesondere, dieses so kostbare Gut, das unser Gebiet ist, zu schützen.
„Ein letzter Tipp: Entdecken Sie den Almhüttenweg der Hochebene der Sieben Gemeinden und Sie werden sehen, es ist ein wohltuendes Erlebnis für die ganze Familie!“
Gianbattista Rigoni Stern
Gianbattista Rigoni Stern
Er ist 1950 in Asiago (Vicenza) geboren, machte seinen Studienabschluss in Forstwirtschaft an der Universität Padua und ist seit 1980 Lehrer an der landwirtschaftlichen Berufsschule in Castelfranco. Gianbattista Rigoni Stern befasst sich als Schriftsteller mit den Geschichts- und Naturaspekten der Hochebene der Sieben Gemeinden und des Trentino, der Almhütten sowie der Anbausysteme und Viehzucht und hat verschiedene Publikationen über Almhütten in den Alpen sowie über die Käseherstellung geschrieben.
Er war im Amt für Landwirtschaft und Forst der Gebirgsgemeinschaft Comunità Montana della Spettabile Reggenza dei Sette Comuni von Asiago (von 1980 bis 2008) tätig und wirkte an der Ausarbeitung der Bestimmungen „Disciplinare tecnico ed economico per la gestione delle malghe pubbliche“ [Technisch-wirtschaftlichen Bestimmungen zur Bewirtschaftung öffentlicher Almen] sowie der Bestimmungen über die Herstellung des Käses Grün Alpe Pennar mit, der aus Rohmilch von ausschließlich auf Weiden grasenden Kühen, die nur mit Gras und einer beschränkten Menge von Nicht-GVO-Getreide gefüttert werden, hergestellt wird. Er war Mitbegründer der Bruderschaft des Käses „Venerabile Confraternita del Formaggio Asiago“ und Stadtrat für Naturerbe und Umweltschutz der Stadt Asiago, ist Mitglied des Wissenschaftlichen Ausschusses beim Völkerkundemuseum Museo Usi e Costumi della Gente Trentina und der Kommission „Studio del paesaggio trentino“.
Zudem fördert und leitet er das Projekt „Progetto per il recupero sociale, economico, paesaggistico dell’area rurale di Sućeska e contrade limitrofe (La Transumanza della Pace)“ [Projekt zur sozialen, wirtschaftlichen und landschaftlichen Förderung des ländlichen Raums von Sućeska und den angrenzenden Ortsteilen (Die Transhumanz des Friedens)] in Bosnien und Herzegowina.
2021 erhielt er den Verdienstorden der Republik Italien für seine bemerkenswerte und vielfältige vieljährige Tätigkeit in Kultur, Wissenschaft, Verwaltung und im sozial-humanitären Bereich. Auch sein Vater, der Schriftsteller Mario Rigoni Stern, ist vom italienischen Präsidenten mit einem Orden, dem Großkreuz, ausgezeichnet worden.